DER SACK DES NIKOLAUS
Geschrieben von Bert Plomp
Das Nikolausfest hatte bei uns zu Hause immer einen hohen ‘Toon Hermans’-Anteil. Da der Geburtstag des heiligen Nikolaus für meine Eltern keine hohe Priorität hatte, erschien dieser sympathische Heilige nie unter uns. Meine Eltern mochten Heilige katholischer Herkunft sowieso nicht. Dabei war die Mutter meiner Mutter immerhin katholisch.
Als ich irgendwann feststellte, dass der Nikolaus überhaupt nicht existierte, war das für mich daher keine große Enttäuschung. Meine Eltern haben sich auch beeilt, mir und ihren anderen Kindern klarzumachen, dass der Nikolaus ein Scheinheiliger war. Mit der Offenlegung dieser ‘harten Wahrheit’ verschafften sie sich eine Rechtfertigung, um fast nichts für die Nikolausfeier zu tun. Das hat natürlich auch den Geldbeutel geschont.
Als meine Eltern den guten Nikolaus vom Sockel gestoßen hatten, kam für mich der Tag, auch an allem zu zweifeln, was für sie heilig war. An all diesen frommen Individuen in ihrer eigenen niederländisch-reformierten Gemeinschaft. Ich dachte, lasst uns den ‘Bildersturm’ gleich vollenden und all diesen kirchlichen Fürsten und Leitern einen kräftigen Tritt in ihren frommen Hintern geben.
In der Schule haben wir glücklicherweise Nikolaus gefeiert, und das war immer sehr stimmungsvoll. Mit echten schwarzen Peter und nicht mit den künstlichen, übermäßig süßen Nikolaushelfern von heute. Wenn der Nikolaus und seine Helfer die Schule besuchten, herrschte immer eine etwas gespannte Atmosphäre unter den Kindern. Gab es ein Geschenk, gab es einen Klaps mit der Rute? Beachten Sie, im Sinne eines erzieherischen Klaps. Es war eine nette Spannung, die der Besuch des Nikolaus mit sich brachte. Ich habe von schwarzen Peter ein paar Mal so einen Klaps auf den Hintern bekommen. Das war für mich kein Grund, seelische Unterstützung zu suchen. Es war einfach eine gut gemeinte Aktion, die für viel Heiterkeit sorgte.
Bei uns zu Hause blieb es eine armselige Vorstellung. Natürlich lag das hauptsächlich an der finanziellen Situation. Trotzdem erinnere ich mich daran, dass meine Eltern einmal ihr Bestes getan haben, um es gemütlich zu machen. Das geschah, als wir noch im Napoleonplantsoen im dritten Stock in Utrecht wohnten.
Tage vor diesem Nikolausfest lag etwas in der Luft. Etwas im Sinne von: Die Kinder des Hauses Plomp können sich dieses Mal auf ein Fest vorbereiten, das seinesgleichen nicht kennt. Eine Feier, die sich leicht mit der bei Freunden in der Nachbarschaft messen könnte. Bei denen der Nikolaus normalerweise groß auftrat.
An besagtem Nikolausabend wurde mit aller Kraft an die Haustür geklopft und wütend geläutet. Ich erschrak mich zu Tode. Zusammen mit den anderen suchte ich sofort Deckung hinter ein paar Stühlen und unter dem Tisch. Wir fürchteten, dass die Gestapo zurückgekehrt war. Dass diese Geheimpolizei uns noch schnappen würde.
Plötzlich flog allerlei Süßigkeiten durch das Wohnzimmer. Zuerst eine Handvoll, dann eine große Menge, die noch halb verpackt in einem ordentlichen Papiersack steckte. Offensichtlich hatte der Werfer es sehr eilig oder der Sack war einfach aus seiner Hand geflogen.
Nachdem wir den ersten Schreck überwunden hatten, näherten wir uns irgendwann der Tür, hinter der die großzügige Hand verschwunden war. Die betreffende Person war jedoch verschwunden. Als wir an der Haustür ankamen, stand dort ein großer Jutesack und starrte uns an. Und tatsächlich, der Sack war mit Geschenken gefüllt.
Während die anderen den Sack nach drinnen schleppten, rannte ich noch schnell das Treppenhaus hinunter, um den Zusteller des Sacks zu finden. Leider ohne Erfolg.
Meine Eltern mochten es nicht, einen ganzen Abend für das Verteilen und Auspacken von Geschenken zu verwenden. Überraschungen und Gedichte kamen überhaupt nicht in Frage. Das hätte die Sache nur unnötig in die Länge gezogen, und was soll man schon für so eine Bande von Unruhestiftern aufs Papier bringen? Also kümmerte sich das Familienoberhaupt um den Inhalt des Sacks. Mein Vater, der sich als Brotverdiener automatisch als Familienoberhaupt qualifizierte, nahm auf seinem Stuhl neben dem Petroleumofen Platz. Er griff in den Sack, überprüfte die Adressdaten und warf das Paket zum beabsichtigten Begünstigten. So leerte er dann in einem mörderischen Tempo den Inhalt des Sacks. Die Geschenke flogen in alle Richtungen durch die Luft. Ein Paket war noch nicht ausgepackt, da fiel schon das nächste in deinen Schoß.
Der Ertrag pro Kind bestand zunächst aus einer Zuckerfigur. Ein nicht essbares, übermäßig süßes, Emaille-zerstörendes Teil.
Dann gab es eine Schokoladenbuchstabe, der nicht unbedingt dem Anfangsbuchstaben des Namens des Empfängers entsprach. Es handelte sich um einen echten ‘Last-Minute’-Schokoladenbuchstaben. Anders gesagt, ein Buchstabe, der so gut wie unverkäuflich war. Nämlich ein Q, ein U, ein X, ein Y oder ein Z. Um den Angriff auf die Kinderzähne zu vollenden, erhielt jeder auch noch eine Puppe aus Pfefferkuchen. Wenn du da reingebissen hast, bekamst du die Zähne nicht mehr auseinander.
Schließlich erhielt jeder noch ein nützliches Geschenk, sei es ein paar Socken, ein paar Handschuhe oder etwas Ähnliches.
Selbst der Hund Marsha gewann einen Preis. Nachdem das arme Tier mit wachsendem Interesse und angehaltener Luft Minuten lang den ‘Luftverkehr’ beobachtet hatte und mehrmals vergeblich versucht hatte zuzuschnappen, kam plötzlich ein Paket direkt auf ihn zugeschossen. Der Vierbeiner war so verblüfft, dass er das zugeworfene Stück Pferdewurst mit Verpackung und allem in einem verschlang. So konnte niemand sonst Hand an seine legitime Portion legen.
Höhepunkt dieses besonderen Nikolausfestes, das übrigens nicht viel länger als eine halbe Stunde dauerte, war die feierliche Übergabe des Hauptgeschenks. Aufgrund der Empfindlichkeit des Inhalts wurde es ausnahmsweise nicht ‘per Luftpost’ geliefert. Es handelte sich um ein Geschenk für die drei Brüder zusammen. Es war eine elektrische Spielzeugeisenbahn. Diese winzige Bahn mit ebenso winzigen Wagen konnte aufgrund der geringen Menge mitgelieferter Schienen nur eine sehr kleine Runde fahren. Aber gut, wir waren auch sehr beengt untergebracht.
Mit Blue-Band-Marken hatte meine Mutter es geschafft, dieses kostbare Spielzeug zu sammeln.
Alles in allem war es ein Nikolausfest von außergewöhnlicher Größe. Dabei verblassten alle vorherigen und nachfolgenden Feiern völlig. Daher ist diese Feier auch die einzige, die mir in Erinnerung geblieben ist.
ENDE
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